Biografisches

1999    Atelier in Pulheim
1984    Atelier in Köln
1984    Meisterschülerin bei Prof. Dank
1976    Studium der Malerei an der FH-Köln für Kunst & Design

Auszeichnungen


2020     Stipendium des Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW
2013     Kunstpreis, Kunstforum 99, Rheinbach
1985     Stipendium der Stadt Bonn
1983     3. Platz Max-Ernst-Stipendium


Arbeiten im öffentlichen Besitz

Deutscher Bundestag Berlin,
Stadt Brühl,
Stadt Köln,
Stadt Lingen (Ems),
Gemeinde Stuhr,
Stadt Pulheim,
Stadt Wertingen,
State Museum Majdanek, Lubin (Polen)

Peter Lodermeyer

Firn

Dass Sabine Odensaß eine besondere Vorliebe für Wasser und dessen vielfältige Eigenschaften und Erscheinungsformen hat, kann nicht verwundern, wenn man sich einmal in die Malerei dieser Künstlerin eingesehen hat. Ihr bevorzugtes Malmittel ist stark verdünnte, wässrige Acrylfarbe, mit der sie ihre Leinwände und Papierbögen in zahlreichen Arbeitsgängen geradezu überschwemmt. Pointiert könnte man sagen, dass Odensaß ihre Bilder mit Hilfe von pigmentiertem Wasser malt, und dass sie so mit ihrer Malerei eine facettenreiche Ästhetik des Fluiden erzeugt. Ihre in hohem Maße prozessgetriebene Malweise schließt unter anderem Prozeduren wie das Herabrinnenlassen der Farbe, das Ver- und Wegwischen einzelner Partien sowie das Überfluten der Bildfläche mit Farbsubstanz ein. Die vielfältigen Spuren, die diese Praktiken in den Bildern hinterlassen, sind in ihrer Unvorhersehbarkeit – auch für die Künstlerin selbst – immer wieder verblüffend. Die genaue Beschaffenheit der Leinwände, ihre Webart und Fadendichte, spielen zum Beispiel eine Rolle für das Fließverhalten der Acrylfarbe, ebenso die mikroskopische Feinstruktur und die chemischen Eigenschaften der verwendeten Pigmente. Außerdem haben Außenbedingungen wie Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit im Atelier Einfluss auf das Trocknungsverhalten der Farbe und die sich aus ihm ergebende Formenbildung. Als Resultate all dieser Vorgänge zeigen sich in den Bildern feinste, mit bloßem Auge nur aus der Nähe sichtbare Strukturen, es bilden sich über die Fläche mäandernde und sich verästelnde Farbgerinnsel, Trocknungsspuren, Verkrustungen und Ablagerungen von Pigmenten. All dies ergibt sich immer aus dem dialektischen Zusammenspiel zwischen dem bewussten Eingriff der Malerin und dem selbsttätigen Verhalten des Malmaterials selbst.

Zu den faszinierendsten Eigenschaften von Wasser gehört der Wechsel seiner Aggregatzustände. Dampf, der gasförmige Zustand, spielt für die Malerei von Odensaß keine herausgehobene Rolle, obwohl es durchaus auch Gemälde von ihr gibt, bei denen die Farbsubstanz wie in kleinste Tröpfchen zerstäubt erscheint und so eine nebelverhangene Bildwirkung erzeugt. Wichtiger aber ist die Faszination für die vielfältigen Strukturen, die Wasser in gefrorenem Zustand ausbilden kann. Schnee und Eis sind dabei freilich rein formal, als strukturbildende Analogien im Spiel, nicht etwa real, auf der prozessualen Ebene der Bildentstehung. Sabine Odensaß arbeitet schließlich nicht mit gefrorenem Farbmaterial, sie interessiert sich jedoch für die extreme Formenvielfalt, die sich einstellt, wenn Wasser gefriert oder Eis auftaut, wenn sich unter Eisflächen Luftblasen bilden, Hohlräume entstehen, Einschlüsse sich zeigen. All das findet freilich nicht im Sinne von Abbildlichkeit in ihre Gemälde – schließlich ist und bleibt sie eine nichtgegenständlich orientierte Malerin –, sondern als naturanaloge Strukturen, die ganz aus dem experimentellen malerischen Umgang mit dem Farbmaterial entwickelt werden.

„Firn“ lautet der Titel der vorliegenden Publikation. Er steht als pars pro toto für die in globaler Perspektive gedachte Thematik von Wasser und Eis überhaupt, mit der sich Sabine Odensaß in den letzten Jahren intensiv beschäftigt hat. Man kann heute die Thematik von Firnschnee und -eis im Hochgebirge, von Gletscherbildung und Schneeschmelze nicht mehr denken ohne das Wissen darum, dass der menschengemachte Klimawandel die alpinen Gletscher bald unwiderruflich verschwinden und die Massen des vermeintlich „ewigen“ Eises an den Polkappen zusehends abschmelzen lässt – was zugleich zu einem kontinuierlichen Anstieg des Meeresspiegels führt. Die Malerei von Sabine Odensaß findet nicht als formales Exerzitium im Elfenbeinturm reiner Kunst statt, sie ist welthaltig und nimmt das Interesse an der Natur und die Sorge um deren Zustand im Zeitalter des Anthropozäns in sich auf. Ein Katalysator für die gesteigerte Aufmerksamkeit für diese Thematik war zweifellos Odensaß’ Besuch mehrerer Gletscher in Norwegen 2019, mit dem Wissen über deren akute Gefährdung.

Vor dem Hintergrund dieser thematischen Zusammenhänge sieht man ihre Gemälde vielleicht nicht völlig anders, aber sicher offener für Naturvergleiche und -assoziationen, wozu entsprechende Bildtiteln zusätzlich ermuntern. Der titelgebende Firn mit seiner typischen körnigen Oberflächenstruktur lässt sich am ehesten in einem Gemälde wie „18.12.140“ von 2018 finden, wo sich kleine weiße, jeweils individuelle Farbformen dicht an dicht in einer das Betrachterauge völlig überfordernden Vielzahl über das gesamte Bildfeld ausbreiten. Schaut man von dieser Arbeit her auf das Papierobjekt namens „Eisdrift“ von 2020, dessen Bildträger, ein großer Papierbogen, der gestaucht, geknüllt und wieder halbwegs auseinandergezogen wurde, ergibt sich sogleich eine ganz andere Perspektive und Skalierung des Gesehenen – von der Mikrostruktur ins geologische Großformat. Unvermeidlich erscheint „Eisdrift“, dieses horizontal ausgebreitete Gebilde, wie das Modell eines großen Faltengebirgszugs oder – eher noch – eines Eisbergs. Die Blautöne, die zum Teil von getrockneten Rinnsalen durchzogen werden, sowie die weißen Farbsprenkel wecken den Gedanken an Eis und Schnee und Schneeschmelze. Trotz seiner plastischen Wucht wirkt das auf dünnen Stützen balancierende Objekt extrem labil und verletzlich.

Das großformatige Papierbild „Eisplatten“ von 2021 zeigt eine für Sabine Odensaß eher ungewöhnlich feste Bildstruktur. Die großen grauen, mit Tusche gemalten Formblöcke wirken passgenau aufgeschichtet wie ein Zyklopmauerwerk. An der Oberfläche scheint sich dieses bildfüllende struktive Gefüge jedoch zu verflüssigen. Schlieren aus bläulicher Acrylfarbe lassen die Konturen verschwimmen, als ob die Blöcke bereits anfingen aufzutauen. In dem 2020 gemalten Leinwandbild „Schmelzwasser“ hingegen ist jede Bildordnung aufgelöst, alles Feste scheint in einem unaufhaltsamen Vorgang wegzufließen und wird in einer fulminanten, sturzbachartigen Bewegung versetzt. Ströme aus Blau, Weiß und verschiedenen Erdtönen ziehen den Blick des Betrachters mit sich nach unten. Dieses beinahe gewaltsame Herabströmen der Farbe erinnert von ferne an Albrecht Dürers „Traumgesicht“-Aquarell von 1525, in dem er eine Sintflut, gewaltige, aus dem Himmel herabstürzende Wassermassen festhielt. So apokalyptisch kommen die hier gezeigten Arbeiten von Sabine Odensaß nicht daher. Es geht ihr nicht um eine Illustration der drohenden Klimakrise, aber die neuen Arbeiten sind gerade aufgrund ihrer genauen Einfühlung in die Naturformen und deren Veränderungen eindringlich und ernst.

 

Peter Lodermeyer

Sabine Odensaß

Die Gemälde von Sabine Odensaß präsentieren sich aus gemessenem Abstand als in sich strukturierte Farbfelder, die meist auf einen farblichen Zweiklang oder aber einen dominanten, wenn auch vielfältig modulierten Farbton gestimmt sind. Bei längerer Betrachtung scheinen sie zu „atmen“ und eröffnen einen eigentümlichen, lichtvollen und überaus lichtsensiblen, d. h. auf kleinste Veränderungen des Außenlichts reagierenden Tiefenraum. Bereits aus der Distanz aber wird spürbar, dass sich die farbräumliche Wirkung aus der optischen Mischung zahlreicher kleinteiliger Farbwerte ergibt, was den Betrachter dazu bringt, näher an die Bilder heranzutreten, um ihre Binnenstruktur zu erkunden. Es ist verblüffend, im „close reading“ dann die unzähligen Farbströme zu entdecken, welche die Bildfelder überziehen, die Vielzahl an farblichen Valeurs, das Übermaß an Mikrostrukturen. Im Nahblick zeigen sich neben horizontalen Verwischungsspuren Farbgerinnsel und Pigmentschauer, Trocknungsmuster und zahllose fadendünne farbige Linien, die sich hundertfach verästeln, verbinden und wieder trennen.

Die Wirkung der Bilder von Sabine Odensaß ist bestimmt von der Spannung zwischen der vibrierenden Farbenergie im Distanzblick und der überaus kleinteiligen, das Auge überfordernden Strukturvielfalt, die sich aus der Nähe erschließt. So wird der Betrachter dazu ermuntert, verschiedene Standpunkte einzunehmen und die höchst unterschiedlichen visuellen Aspekte in einer gedanklichen Verbindung zusammenzubringen. Unvermeidlich stellt sich dabei die Frage nach dem Malprozess, dem sich diese Gemälde verdanken, denn selbst der unbedarfteste Betrachter wird erkennen, dass ihre Farbliniensysteme nicht „von Hand“ gezogen sein können. Diese Malerei ist in hohem Maße prozessgesteuert, der Vorgang des Malens selbst ist in zahlreichen Spuren im Bild ablesbar. Genauer gesagt: Die Bilder geben sich als die Sichtbarwerdung der malerischen Prozesse selbst zu erkennen. Wer sie aufmerksam betrachtet, wird ohne weiteres die wichtigsten Arbeitsabläufe ablesen können. Man sieht dann, dass die Farbe – hoch verdünnte Acrylfarbe – in vielen Schichten aufgetragen wurde, wobei sie an der Malfläche hinab floss. Ganze Kaskaden von Farbströmen lassen sich unterscheiden, bei denen die Pigmente mitgerissen wurden und die Farbe sich ihre Wege suchte. Zudem bemerkt man Eingriffe in das Fließgeschehen der Farbe, horizontale Pinselspuren, die den Farbfluss unterbrechen und zugleich ein neues Strömen auslösen. Man sieht auch, dass die Leinwände beim Malen nicht gedreht wurden, da es immer nur eine Fließrichtung gibt. Die grundlegende, im Farbfluss angelegte Vertikalität – ein Tribut an die Schwerkraft – wird zusätzlich dadurch betont, dass Sabine Odensaß bevorzugt hochformatige Bilder malt.

Dass die „fluide“ Anmutung dieser Gemälde immer wieder Naturassoziationen auslöst, kann nicht verwundern. Die Farblinienverläufe entstehen ganz eigentätig aus den naturgesetzlich ablaufenden Prozessen des Fließens, der chemischen Reaktionen der Pigmente untereinander sowie der Trocknungsvorgänge, die jeweils vom Untergrund, der Raumtemperatur, der Luftfeuchtigkeit usw. beeinflusst sind. So entstehen Strukturen, die an geologische Abläufe wie Erosion und Ausschwemmungen erinnern können, aber auch, je nach Farbigkeit, an die Verästelungen von Bach- und Flussläufen, Pflanzen, elektrischen Entladungen, neuronalen Netzen usw. Die Gemälde sind jedoch keine Naturabstraktionen, erst recht keine abstrakten „Landschaften“, sondern autonome künstlerische Gebilde, die freilich offenstehen für die Assoziationen der Betrachter. Sie entstehen aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken von bewusster Entscheidung und unverfügbarem Prozess, d. h. Kontrolle der Künstlerin und Eigenwille des Materials. Wobei mit Material keineswegs nur die Farbe gemeint ist, denn auch die Bildträger, meist Leinen oder Nessel, spielen eine entscheidende Rolle. Dies zeigt sich sehr deutlich bei den Gemälden auf diagonal gewebten Nesseltüchern, an denen die Farbe nicht senkrecht, sondern in parallelen Schrägstreifen nach unten abläuft, was ihre Wirkung erheblich mitbestimmt.

Es ist sicher kein Zufall, dass die prozesshafte Malerei von Sabine Odensaß selbst wiederum das Ergebnis eines langen Suchprozesses ist. Ursprünglich kommt die Künstlerin von der figurativen Malerei her, ihr Sujet waren vor allem Köpfe und Gesichter. Auf der Suche nach einer gültigen, zeitgemäßen Form von Malerei hat sie sich allmählich und nach Durchlaufen verschiedener Abstraktionsstufen immer weiter von formalen und inhaltlichen Vorgaben gelöst und den Schwerpunkt auf das Sichtbarmachen des Malvorgangs selbst gelegt. Wie zahlreiche andere Maler auch hat Sabine Odensaß ihre Arbeit immer wieder zeichnerisch reflektiert. Doch die seit 2010 entstehenden, oft beinahe zwei Meter hohen Arbeiten auf Papier zeugen von einer ganz neuen Wichtigkeit der Zeichnung im jüngsten Werk dieser Künstlerin.

In aller Regel verwendet Sabine Odensaß für jedes Blatt eine Kombination verschiedener zeichnerischer Mittel, meist Kohle, weiße und schwarze Kreiden, gelegentlich auch Tusche und Acrylfarbe. In einem intuitiven Herangehen füllt sie das Papier mit Strichsetzungen, die sie zum Teil wieder verwischt, mit weiteren Strichlagen überdeckt usw. Oft umspielen diese linearen „All-over“-Gefüge das Motiv eines vertikal-horizontalen Rasters, das aber immer wieder von Störungen, diagonalen Schraffierungen etwa oder aufgesetzten Lichtern aus weißer Kreide, aufgebrochen wird. Bei manchen Arbeiten erlaubt sich die Künstlerin eine ganz offene, von gestischen, fast skripturalen Markierungen gekennzeichnete Bildanlage. Was alle diese Arbeiten eint, ist der malerische Ansatz auch im Zeichnerischen. Es ist unverkennbar, dass es sich um Zeichnungen einer Malerin handelt. Aufgrund der Überlagerungen und Verwischungen entsteht ein vibrierendes Helldunkel als Pendant zu den Farbräumen der Acrylbilder. Was die großformatigen Zeichnungen jedoch grundlegend von den Gemälden unterscheidet, ist die Tatsache, dass hier jede Spur unvermeidlich an die Aktivität der Hand gebunden ist, dass es also kein Gegenstück zu dem „selbsttätigen“ Fließen der wässrigen Farbe geben kann. Der Anteil der Kontrolle gegenüber der Unvorhersehbarkeit der Materialwirkungen ist in den Zeichnungen ungleich größer als in den Gemälden. Genau daraus, aus der veränderten Gewichtung der bildbestimmenden Anteile aber ergibt sich die Autonomie der Zeichnungen von Sabine Odensaß. Diese wird zusätzlich durch ihre unprätentiöse Hängung ohne Rahmen und Verglasung betont. Indem die Papiere frei an der Wand hängen, werden sie in ihrer Materialität als „Objekte“ erlebbar. Sie aktivieren im Anschauen das faszinierende Paradox von Ding und Bild, indem sie für den Betrachter aufgrund ihrer knapp überlebensgroßen Dimensionen auf den eigenen Körper bezogen und somit als physisches Gegenüber erlebt werden können und zugleich den Einstieg in die unbestimmte Offenheit der nie vollständig auszulotenden Bildräume erlauben.

 

Sabine Elsa Müller

Farbe als Metapher  

Das Äußere und das Innere. Das Physische und das Geistig-Seelische. Die Kunst lebt von dieser Polarität und arbeitet sich an ihr ab. Bei Sabine Odensaß ist das Physische die Farbe. Farbe wird mit breitem Pinsel in ruhigen Bahnen horizontal auf die Fläche aufgetragen. Die hochreinen Pigmente schwimmen in verdünnter Acryllösung. Weil die Farbe so flüssig ist, läuft sie in feinen Rinnsalen die Leinwand herunter. Sie bahnt sich ihren Weg und verzweigt sich immer langsamer werdend in tausend kleinen Verästelungen, bis sie schließlich versiegt. Der nächste Pinselstrich bessert mit einem neuen Farbschwall nach. Oder treibt die Farbe mit trockenem Pinsel in die Fläche zurück.

Jedes einzelne Bild ist ein Experiment. Nass in nass vermalte Farben verdichten sich zu tiefenräumlichen Farbschleiern, deren plastische Wirkung sich bis zu einer Art 3D-Effekt steigern kann. Rinnt die dünnflüssige Farbe über bereits getrocknete Schichten, wird die zarte Farbhaut angelöst und von einem Geäder feiner Riefen freigelegt. Das Untere gelangt nach oben. Es entstehen Strukturen, die von keinem Pinsel gemalt sind, sondern sich je nach Pigment und Oberflächenbeschaffenheit wie natürlich entwickeln. Durch ihre transparente Luzidität sind sie von hoher Lichtdurchlässigkeit. Sie scheinen von innen heraus zu leuchten. Ein wenig erinnern diese Effekte an Frottagen, die auch desto deutlicher hervortreten lassen, was sie als Negativform aussparen. Wie bei Luftaufnahmen zeigt sich häufig aus der Distanz ein Relief, das sich beim Nähertreten im Dickicht der Details verliert.

Das Spiel mit der Farbe kennt viele Varianten und Optionen. Dies gilt für beide Seiten. Auch nach jahrelanger Erfahrung ist nicht vorhersehbar, wie sich diese fließende Materialität verhalten wird. Wieviele Stadien müssen durchlaufen werden, bis die Farbe zu einer relevanten Bildaussage zusammenfindet! Aber woran erkennt man, wann das Optimum erreicht ist? Die Eigengesetzlichkeit der Farbe entwickeln heißt, sie behutsam in die richtigen Bahnen lenken. Den idealen Moment abpassen, um die Fließbewegung zu stoppen oder umzukehren, oder um eine weitere Farbgabe hinzuzufügen. Um die Vorgänge zu deuten ist es notwendig, die Farbe genau zu beobachten: Das eigenwillige Fließverhalten der Pigmente studieren und schon im nassen Zustand erahnen, wie sich die Verhältnisse durch den Trocknungsprozess verändern werden. Im richtigen Moment die richtige Entscheidung treffen. Und vor allem: rechtzeitig aufhören.

Der Interaktion zwischen Materie und dem ordnenden Eingreifen des Geistes verdankt diese Malerei ihre sinnliche Lebendigkeit. Die feinen Nuancierungen sind nur denkbar als Resultat eines organischen Prozesses. Aber ohne Einbindung in ein übergeordnetes Konzept wird aus fließender Farbe kein Bild. Ohne die unzähligen Entscheidungen, die den Zeitraum der Bildentstehung prägen, lässt sich nicht dieser starke Ausdruck erzielen. Die Bilder öffnen einen prägnanten, wenn auch für jeden Betrachter anders wahrnehmbaren Raum. Dass der Eigendynamik der Farbe höchste Priorität eingeräumt wird, teilt sich als Anmutung einer großen Freiheit und Gelassenheit mit. Die Farbräume pulsieren und atmen, sie scheinen bewegt und spiegeln darin die emotionale Bewegtheit des Betrachters. In diesen Bildern geht es nicht um Zustände, sondern um die subtilen, sehr empfindlichen Nuancen von Stimmungen. Oder anders ausgedrückt, um das Recht auf die ganz persönliche, seelische Gemengelage.

Manche dieser ineinander verwobenen Strukturen erinnern an Landschaftliches. Ihre Komplexität ahmt natürliche Vorgänge nach. So spiegelt sich im Mikrokosmos eines vibrierenden Grüns der Makrokosmos der Vegetation – in duftig verschleiertem Blau finden wir immer einen Himmel. Aber was sucht die Malerei in der Natur, wenn nicht eine poetische Metapher für die ersehnte Einheit der menschlichen Verfassung? Letztendlich beschäftigt sich Sabine Odensaß immer noch mit dem Menschen, wie sie es bei ihrer frühen, figurativen Malerei schon getan hat. Auch wenn sie sich außer dem bevorzugten Hochformat hier keinerlei Reminiszenzen an die menschliche Figur erlaubt, handeln diese Bilder von geistigen und psychischen Befindlichkeiten. Und das nur über die Wirkung der Farbe in Verbindung mit einer sehr subjektiven, hochsensiblen Malerei.

 

 Dr. Gabriele Uelsberg

Im Regenstrom der Farbe

Die jüngsten malerischen Arbeiten von Sabine Odensaß bewegen sich stärker in dem Bereich der konkreten Kunst. Aus der Abstraktion kommend, konzentriert ihre Malerei auch in den aktuellen Bildern immer wieder den inneren Verweis auf außerbildliche Erfahrungen und Erlebniswelten. In den strukturellen Farbbildern ist eine Weite und Tiefe über die malerische Komposition heraus erfahrbar, die an landschaftliches Erleben erinnert.

Landschaft und Natur als Erfahrung von Vielfalt, Stimmung und Empfindung, wie sie in der Romantik des 19. Jahrhunderts einen letzten Höhepunkt erreichte, vermögen diese Begriffe heute kaum mehr zu vergegenwärtigen. Nicht zuletzt das wissenschaftliche Prinzip der Vereinzelung führte in seiner Konsequenz zu einer Verdinglichung der Natur wie auch des Menschen. So eroberte der Mensch zwar eine neue Freiheit gegenüber der Natur, bezahlte diesen Gewinn andererseits mit einem Verlust eigener Identität.

Bar ihrer Sinnlichkeit und auf Wertigkeiten reduziert, erscheint Natur als ein System nebeneinander angeordneter Quantitäten und Formeln. Die Landschaft als Gattung der Malerei verschwand zwangsläufig fast völlig aus der zeitgenössischen Kunst, während andere Formen als die Malerei die künstlerische Auseinandersetzung mit Natur und Landschaft aufgriffen. Gerade aber in den konkretesten Formen und den reduziertesten Positionen von Malerei entwickeln sich naturhafte Formen und Erlebnisfelder, wie sie in den Oberflächen und Strukturen der Malerei von Sabine Odensaß sinnfällig werden. Analog dazu entsteht in der Malerei von Sabine Odensaß eine prozessuale Qualität, die dazu führt, dass sich Malerei als Malerei selbst entwickelt und die Künstlerin in einem begleitenden und gleichsam von außen steuernden Prozess mittelbar eingreift.

Die Künstlerin arbeitet mit der Schwerkraft und flüssiger Farbe, die ihren eigenen Prozess des Verlaufes übernimmt. Hier greift sie in immer wieder neuen Schichtungen und Strukturen behutsam in das Bildgeschehen ein und lässt der Farbe, der Struktur und ihrer Materialität ein Großteil von eigenständiger Entfaltung. Dadurch entstehen prozesshaft zufällige, malerische Strukturen, die in ihrem Fluss und ihrer Transparenz eine Stofflichkeit von Farbe imaginieren, die gleichzeitig dicht und transparent erscheint. In manchen Arbeiten, in denen Odensaß die Transparenz in ihrer Farbigkeit sehr weit treibt, gewinnt der Betrachter fast den Eindruck, in einen Niederschlag der Farbe eingebunden zu sein, den er mit den Augen durchdringen und in eine Tiefe weiter verfolgen kann, die offen und scheinbar grenzenlos ist.

Farbe verschleiert Farbe, Dichte verschleiert Transparenz; das Licht scheint aus der Tiefe des Bildes heraus sich den Weg durch die Malereischichten selbst bahnen zu wollen. Die Bilder wirken in erstaunlicher Weise gleichsam umgekehrt gemalt, so als ob die Malschichten von innen nach außen und nicht von außen nach innen wahrnehmbar würden. Die tonale Farbigkeit jedes einzelnen Bildes ist zwar nahezu eindeutig, setzt sich aber aus einer Unzahl unterschiedlicher Farbigkeiten zusammen und wird erst im Prozess der Verdichtung als ein Farbton erkennbar, der ganz unterschiedlich gewichtet auftritt – mal auf die Naturerfahrungen des Grüns oder der Erdtöne , mal in einer Starkfarbigkeit von Violett- und Gelbtönen strukturiert.

Dabei arbeitet Sabine Odensaß durchaus auch mit „Mehrfarbigkeiten“ in Arbeiten, in denen sie die „Ablagerungsprozesse“ der Farben durch Querstreichungen des Pinsels zu einem späteren Zeitpunkt strukturiert und zu neuen, die Oberfläche in fast haptische Formen übersetzende, Strukturen erweitert. Die unterschiedlichen Farbigkeiten, die die Künstlerin auf diese Art und Weise erreicht, sind unendlich in ihrer Vielzahl wenngleich die Pigmente, die Sabine Odensaß verwendet, sich vor allen Dingen durch die Übereinanderlagerung in diese Polychrometrie wandeln. Die Abfolge der Schichten, die Intensität der Mischungen und der Ablauf der Malerei als Prozess selbst sind in jedem Bild letztlich einzigartig und bringen im Ergebnis höchst unterschiedliche und unverwechselbare Bildkompositionen hervor.

Sabine Odensaß gelingt es auf diese Art und Weise, die plastische Qualität von Farbe und Raum in der körperlichen Wirksamkeit von Farbe als landschaftliches und naturhaftes Phänomen erfahrbar zu machen. Dieses wird so unmittelbar in einen Bezug zum Betrachter gebracht, der in den Bildern immer wieder auch Assoziationen und eigene Erfahrungserlebnisse sowohl in Bezug auf Natur und Landschaft als auch auf Struktur und Form erfährt. So gelingt es der Künstlerin jedes ihrer Bildwerke als einen individuellen Farbkörper zu entwickeln, der offen ist und in der Betrachtung immer nachvollziehbar bleibt.

Mit ihrem Werk lenkt Sabine Odensaß gleichsam den Blick auf die natürliche Gestaltkraft der Malerei selbst und bietet der Farbe die Möglichkeit, ihre unendliche Ausdrucksfülle in Struktur und Materialität vorzustellen. In diesem Sinne ist Sabine Odensaß eine „traditionelle Malerin“, die gleichzeitig der Malerei selbst ein Höchstmaß an Aktualität auf der Leinwand zubilligt.

 

 Freddie Soethout

„09.12.11.unendlich“

Vielleicht erklärt sich unsere Neigung die Wände unserer Behausungen, in denen wir abgetrennt von der Natur wohnen, mit ornamentalen Strukturen zu belegen oder mit Bildern zu behängen, dadurch, dass wir auf unseren Spaziergängen in fremden Umgebungen auch immer ein Stück des Andersartigen in uns aufnehmen und mitnehmen, das uns nicht mehr loslässt und in uns eine unstillbare Sehnsucht nach unerreichbarer Ferne wach hält.

Öffnung zum Unbestimmten. In den neuen Arbeiten von Sabine Odensaß wird der Betrachter in eine landschaftliche Weite ausgeführt, die in den eigenen Mikrokosmos einströmt, wie das Sinnliche an sich.   Es sind Arbeiten auf Leinwand. Das gerahmte Tuch wird schräg an die Wand gelehnt und mit breitem Pinsel und leicht flüssiger Acrylfarbe horizontal überstrichen. Die Farbe folgt der Schwerkraft und sedimentiert, verdünnt sich am Auftragspunkt und versammelt sich weiter unten zu dichteren Lagen. Nach mehreren Auftragungen entsteht ein an elektronenrastermikroskopische Aufnahmen erinnerndes Bild von Nanowelten, die einen unvermutet tiefen Einblick in die Topologie des Bildaufbaus geben. Das Bildhafte entsteht aus dem Objekthaften, der auf der Leinwandgewebebindung kulminierenden Farbesubstanz, das auf Abstand gesehen zu einem Bild landschaftlicher Erscheinung zusammenwächst.

Zum anderen wird ein Eindruck davon geben, was aufeinandertreffen muss um Bild als Bild entstehen zu lassen. In der grünen Arbeit „09.6.4.120“ ist diese Wirkung besonders stark, in der Grün als Grün konkretisiert wird, was angesichts der puren Sinnlichkeit von Grün – als Synonym für Natur – erstaunt und die Aussicht auf die konkret farbige Sicht der Bildfindung freigibt. Hier spiegelt sich die Auseinandersetzung der Künstlerin mit natürlicher sinnlicher Erscheinung wieder, die in den frühen Collagen mit Naturmaterialfotos erstmals ausprobiert, sich in den neuen Arbeiten zu sinnlich konkreter Bilderfindung verdichtet.

„09.8.12.200“ ist  wie ein Blick in die Landschaft, durch eine scheinbar aufgelöste durchsichtige Wand. Die Arbeit ist in mehreren Bildebenen angelegt und in lichtvollen erdigen Farben gehalten. Dunklerer, sedimentierter Grund wird überlagert durch hellere Töne und darüber sind weitere bleichere Bänder erkennbar. Sie erzeugen zunächst einen flächigen Bildeindruck, der sich bei längerer Betrachtung aber zu einem fast perspektivisch weiten Raum öffnet, in dem uns das Auge mitnimmt, auf eine lange Reise in die Tiefe. Wir sind in der Landschaft angekommen, von Ihr umhüllt, mit Ihr verschmolzen. Wir sind bei uns selbst – zumindest für eine kurze Weile.

 

Jürgen Kisters (Auszug)

…Die Bilder, die Sabine Odensaß in den letzten Jahren gemalt hat, sind prächtig in den Farben und ganz sanft in ihrer Wirkung. Die Farben sind kräftig, aber verhalten. Ganz behutsam blühen sie auf, wie ein Gesicht aus der Ruhe plötzlich ein Lächeln zeigt. Nichts drängt sich auf, Zurückhaltung ist ihr (malerisches) Ele­ment. Die Malerin schmiegt sich ein in eine Farbigkeit, die irgendwo zwischen den Farben der Natur und den Farben der Erinnerung angesiedelt sind. Sehr schnell erkennt man, dass äußere und innere Landschaft unauflös­bar miteinander verflochten sind. „Nichts ist innen, nichts ist außen, denn was drinnen, das ist draußen,“ schrieb einst der Dichter. Kaum zu glauben, dass die Farben von Sabine Oden­saß sich früher einmal auf schwarze, weiße und graue Töne beschränkten. Das war zu der Zeit, als sie noch menschliche Figuren malte, schemenhafte Körper und vor allem Gesich­ter. Mittlerweile ist die menschliche Gestalt aus ihren Bildern verschwunden, und gleich­zeitig damit hat sie die Farben (wieder-)ent­deckt. Die ganze Palette mit ihren unzähligen Abstufungen.

Ganz ohne Ziel beginnt Sabine Odensaß ihre Bilder, ohne Hintergedanken. Sie malt eine erste Farbe auf die Leinwand, eine weitere folgt, und eines ergibt das andere. Das Bild sucht gleichsam sich selbst, und der Pinsel ist nur das Instrument, mit dem sie ebenso erfah­ren wie neu-gierig das Gleichgewicht zwi­schen Zufall und Absicht hält. Gleichermaßen leicht und beharrlich muß der Pinsel sich bewegen, einmal sehr langsam, das andere Mal mit energischer Hast, hier äußerst aufge­regt und dort mit besänftigender Gelassenheit. Malerei dieser Art kennt alle Nuancen, die das Leben auch sonst bestimmen. Ganz allmäh­lich findet sich das Bild, in einem vielfach verschlungenen Prozeß, in dem die Farben sich vorsichtig einander annnähern, miteinan­der kämpfen, einander verschieben und über­lagern, sich miteinander vermischen, sich umschlingen und sich gegenseitig halten. Eine Farbe so ge-wichtig wie die andere, selbst wenn sie im Ganzen des Bildes nur als ein winziger Hauch sichtbar ist…